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Digitale Technologien und das gute Leben. Ethische Herausforderungen von „Digital Health“

Von Dr. Alina Omerbasic-Schiliro

Angesichts der unter anderem durch eine generelle Ressourcenknappheit bewirkten gegenwärtigen Probleme im Gesundheitswesen erscheint die Möglichkeit, Gesundheitsversorgung mithilfe von digitaler Vernetzung und neuen Technologien zu verbessern, nicht nur verlockend, sondern als der nächste logische Schritt in einem Prozess des stetigen Wandels der Medizin. Wie die Erfahrungen mit der Digitalisierung in anderen Lebensbereichen jedoch gezeigt haben, kann sich diese verstärkend sowohl auf wünschenswerte als auch von weniger wünschenswerte Entwicklungen auswirken. Beispielsweise mag die Einführung digitaler Kommunikationstools sowie internet- und mobilbasierter Interventionen dazu beigetragen haben, hochfrequenten Kontakt selbst zu fern lebenden Freunden und Verwandten aufrecht zu erhalten oder Therapeut:innen in Akutsituationen zu erreichen. Doch scheint sie auch zu übersteigerten Erwartungshaltungen, Überforderung oder Anspruchsdenken sowie zu einem Verschwinden klar erlebbarer Gespräche, Abgrenzung und Verbindlichkeit zu führen. In ähnlicher Weise könnte die Einführung von Big-Data-basierten Systemen nicht nur aktuelle Probleme und Kontroversen im Gesundheitswesen verschärfen, sondern auch neue generieren.

Die Aufgabe der Ethik in der Debatte um die Digitalisierung im Gesundheitswesen besteht nun zunächst einmal darin, die sich aus der Implementierung digitaler Technologien ergebenden moralischen Probleme und Wertkonflikte herauszuarbeiten. Da jedoch selbst die Implementierung derselben Tools in verschiedenen Lebensbereichen unterschiedliche Fragen und Probleme aufwirft, erscheint die Etablierung einer „Ethik der Digitalisierung“ im Sinne einer alle Lebensbereiche umfassenden normativen Theorie, welche menschliches Handeln im Kontext der Digitalisierung leiten soll, kaum möglich. Angeraten ist vielmehr eine anwendungs- und kontextsensitive Analyse möglicher Chancen und Probleme der Implementierung bestimmter Tools, aus welcher sich gewiss auch Erkenntnisse für die Frage nach der Implementierung anderer, aber ähnlich gelagerter technischer Lösungen ergeben können.

Da sich hinter dem Sammelbegriff „Digital Health“ inzwischen eine unüberschaubare Menge an Ansätzen zur Verschmelzung von verschiedenen digitalen Lösungen und Alltagsleben, Gesundheitserhalt sowie Krankheitsmanagement verbergen, soll im Rahmen des vorliegenden Projekts der Fokus weniger auf spezifischen Technologien, als auf die deren Verwendung zugrundeliegenden, gemeinsamen Wertkonflikte gelegt werden. Ziel ist es zunächst einen Beitrag zur Sensibilisierung sowohl von Nutzer:innen als auch Hersteller:innen für die Art und Weise wie die Implementierung und Nutzung digitaler Tools das insbesondere in der Philosophie vieldiskutierte „gute Leben“ mehr oder weniger subtil beeinflussen und welche Probleme hier entstehen. Ein besonderer Fokus dieses Projekts liegt auf der Frage, welche Wertkonflikte hier entstehen und welche individuellen sowie gesellschaftlichen Folgen diese mit sich bringen können. Neben einer kritischen Analyse traditionell diskutierter Konzepte wie Privatheit, Selbstbestimmung und Vertrauen erfolgen auch Überlegungen hinsichtlich der Rolle und dem Wert der Aufmerksamkeit in der Debatte. Um der Rolle der Ethik als beratende Instanz im Rahmen eines interdisziplinären Diskureses gerecht zu werden, sollen stets auch konstruktive Überlegungen hinsichtlich künftiger Entwicklungen und konkreter Design-Entscheidungen in spezifischen Kontexten angestellt werden.

Ähnlich wie in anderen Debatten sind weder Idealisierungen des gegenwärtigen Zustands noch exzessive Misstrauensbekundungen gegenüber neuen Technologien zielführend. Die Kernfrage, der sich dieses Projekt widmet, lautet also nicht, ob Digitalisierung aus ethischer Perspektive stattfinden darf, sondern vielmehr, ob im Rahmen der Digitalisierung zentrale Werte in negativer Weise tangiert werden und wie dem durch kluge Designentscheidungen beziehungsweise ein wertesensibles Design der Technologien und Implementationsversuche entgegengewirkt werden kann.

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